PREKÄROTOPIA
Vom utopischen Versuch gemeinsam zu verändern. Ein prekäres Singspiel von Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner
Wir befinden uns ohne Zeit und Raum in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auf einem Strahl. Auf einem Strahl, nicht auf einer Linie. Wir befinden uns in einem Behälter, in einem Resonanzraum, einem Vakuum. Wir sind nicht anderswo. Wir sind in der schwarz-weißen Realität – in einer Idee. Wir bewegen uns in Rotation auf einer Membran, auf einer porösen Oberfläche, die nicht real ist, die nicht ideal ist, weil sie prekär ist. Wir sind in einer Utopie mit Vertröstung auf Morgen. Wir sind in einem System! In einem Ordnungssystem, einem Wertesystem, einem Antiquitätensystem – in einem brüchigen System namens: PREKÄROTOPIA.
PREKÄROTOPIA hat keine Helden. Jedoch leben zwischen Abrissbirne und Tanzeinlage Poupée, Speaker und Trickster im Plural der Wahrheiten: Poupée strahlt hell und lebt in einer wunderbar bunten Seifenblase auf ihrem Regenbogen ohne Regen. Trickster lebt in kreuzfahrschifftiefer Zerrissenheit zwischen Rotation und Mutation und nimmt uns allen den Finger aus dem Auge. Speaker spürt das große Unbehagen, lebt in idealistischen Behauptungen und will Revolution in doppelter Verneinung. Ihr hört die Geschichte von Poupée, Speaker und Trickster. Die Geschichte von PREKÄROTOPIA. Vom utopischen Versuch gemeinsam zu verändern.
Zwischen Wirklichkeitsverständnis und Projektion solidarisieren sich Poupée, Speaker und Trickster in der Unlebbarkeit der Gegenwart und Wiederkehr der Grundformen. In verschwommener Sehnsucht nach Veränderung sehen die drei Figuren eine Option zum Widerstand. Sie haben ein gemeinsames Ziel: Die Umwälzung und Dekonstruktion von PREKÄROTOPIA! Poupée, Speaker und Trickster brechen gemeinsam auf – wollen handeln, wollen etwas bewegen! In radikalisierter Selbstermächtigung zerstören sie die bestehende Hierarchie. PREKÄROTOPIA liegt in Trümmern! Mit euphorischem Triumph feiern die drei ihre temporäre autonome Zone: Vor ihnen öffnet sich ein neues Zukunftsfeld.
Der Versuch etwas Neues aufzubauen, bleibt ein Konstrukt. Ein Konstrukt zwischen präkapitalistischer Zukunft und postkapitalistischer Vergangenheit. Anfangs begreifen Poupée, Speaker und Trickster ihr Scheitern noch als Antrieb und als kritischen Prozess. Doch nach und nach kollabiert der Widerstand im Antikapitalismus ohne Kapital. Ihr gemeinsames Ziel wird ohne Material formlos, haltlos und nutzlos. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Poupée, Speaker und Trickster misslingt der Versuch, gemeinsam zu verändern. Das kollektive und individuelle Scheitern endet in Vereinzelung der drei Figuren. Poupées Welt erscheint ihr nun grau wie Morgentau. Sie erkennt die Widersprüchlichkeit des Systems. Ihre vermeintliche Freiheit wird als naiver Selbstbetrug enttarnt. Speaker wird mehr und mehr von der Hand des Kapitals absorbiert. Sie erstarrt im Rednerpult als Funktion von Gewinn und Verlust. Trickster verbirgt ihr perforiertes Sein hinter Idealstandard. Ihr Standardideal ist die Flucht in die Wiederholung.
Der Chor der Erschütterung ist die Tiefenzeit des Individuums. Gleich einem schwarzen Loch entlässt uns PREKÄROTOPIA in den Nebel und in die Einsamkeit. Keiner für Alle!